Die Partitur des Lebens
Es war einmal eine kleine Note, die wanderte von Musiker zu Musiker, von Instrument zu Instrument und von Klangkörper zu Klangkörper auf der Suche nach einer eigenen Identität und Unvergänglichkeit. Ihre Großeltern waren die Saat für den Dixieland, ihre Eltern keimten auf im Swing. Und die kleine Note? Sie war auf der Suche. Auf der Suche nach etwas neuem, einem Nährboden für eine frische, eine neue Frucht, von der bisher noch niemand gekostet hatte. Ihre Lust auf Improvisation, auf Spontanität und darauf, das Leben aus dem Moment zu schöpfen, war es, die sie vorantrieb, sich immer wieder neu zu erfinden.
In den frühen Vierzigern machte sich die kleine Note schließlich auf den Weg in das ferne New York. Dort spielten sie, die großen Unterhaltungsmusiker ihrer Zeit: Charlie Parker, Duke Ellington oder Dizzy Gillespie. Eines Abends, es war in einer kleinen Kellerbar in Brooklyn, wartete sie darauf, endlich in einer Klangfolge arrangiert zu werden, die es lohnte den Weg zurück in die Lunge des Bläsers und das Mundstück des Instrumentes zu finden. Voller Spannung fieberte sie dem Moment entgegen, in dem der Solist seinen gesamten improvisatorischen Spielraum dazu Nutzen würde, sie in den heißen, von Zigarettenschwaden schwangeren Raum zu blasen, und den Takt für die wogenden Bewegungen tanzender Paare vorzugeben.
Dann stand er vor ihr. Selbstbewusst, mit einem entrückten Blick wenn er sein Instrument blies und einem spitzbübischen Lächeln auf den Lippen, sobald er es absetzte und über Momentschöpfungen sinnierte. Wenn er spielte, wirkte er in sich isoliert und schien doch er in der Lage, sein Ensemble durch knifflige Harmonien zu manövrieren. Sein Name war Miles Davis.
In den kommenden Jahre prägten sie gemeinsam die Entfaltung neuer Stilrichtungen. Sie füllten Konzertsäle auf der ganzen Welt und spielten das meistverkaufte Jazzalbum aller Zeiten ein: Kind of Blue. Auf goldene Schallplatten geprägt, tausendfach auf Livekonzerten in die Köpfe des Publikums oder von den Lautsprechermembranen in Wohnzimmer auf der ganzen Welt hinaus geschmettert, wurde so aus der kleinen Note die besondere Note eines begnadeten Jazztrompeters. Bis zu dem Tag, es war der 28. September 1991, als sie den Körper ihres Schöpfers mit einem letzten Atemzug verließ. Doch Noten sterben nicht. Einmal gespielt, sind sie unvergänglich.
Ein Abend mit Miles Davis
Sobald irgendwo auf dieser Welt, die Nadel auf das Vinyl aufsetzt, ein Trompeter sein Mundstück anfeuchtet, ein Pianist die Finger dehnt oder ein Sänger seine Stimmbänder aufwärmt, um einen Song von Miles Davis anzustimmen, begegnen wir ihr wieder, dieser besonderen Note. Und so war es auch am 23. November 2016, fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode von Miles Davis. Montblanc hatte zur Präsentation des Miles Davis Edition aus der Great Characters Edition in die Räumlichkeiten von Bang & Olufsen in Hannover geladen. Der perfekte Ort für eine Hommage an einen großen Künstler.
Das Klirren von Weingläsern, die Gespräche und das Lachen der Gäste verstummten, sobald die Stimmgewalt von Myriam Nehr, die Virtuosität des Pianisten Sergej Melnik und das Improvisationstalent des Trompeters Peer Baierlein dem Abend ihre ganz besondere Note verlieh. Sie war in dem Moment zurückgekehrt, als sich der Raum in einen Jazzkeller der 50er Jahre verwandelte.
Sobald die Musik ausklang, traten die filigran gearbeiteten Schreibgeräte in das Rampenlicht ihrer Vitrinen. Die weidenden Blicke ihrer Betrachter zeugten von dem Wunsch des Menschen, seine eigene Partitur des Lebens zu schreiben und diesem eine eigene Note zu verleihen. Es sind nur Augenblicke, die wir von der Realität entleihen, um uns zu erinnern. An diesem Abend war es der Moment, wenn der Duft frisch gebratener Burger den Raum erfüllte, ein Windhauch die Federboa am Mikrofonständer aufwirbelte oder die aus der Lust am Experiment, an der Improvisation, an technischer Ästhetik der Herren Peter Bang und Svend Olufsen geborenen Lautsprecher einen Ton auffingen, um ihn eines Tages als Erinnerung an diesen Augenblick wieder freizugeben und uns veranlasst, etwas niederzuschreiben, dass die besondere Note unseres eigenen Lebens für die Ewigkeit bewahrt.