Markus Krischunas: Ambitionierter Hobbyfotograf mit gutem Auge für tolle Szenen
Kennengelernt habe ich Markus Krischunas und seine Freundin Katrin beim US-Car-Forum Bremen. Seit Jahren versuche ich, ihm einen Einsatz für die Mittelkonsole seines Chevy Tahoe zu verkaufen, die bei mir in der Garage rumfliegt. Er weigert sich standhaft. Was das mit diesem Buch zu tun hat? Der Grund seiner Weigerung, mein Taschengeld aufzubessern, steht in direktem Zusammenhang mit den Bildern auf den folgenden Seiten. »Der Platz ist reserviert für meine Kamera, die ich immer griffbereit haben möchte.« Als er mir bei einem der Treffen eine Auswahl von Bildern seiner USA-Reise zeigte, fragte ich ihn, warum die USA? Das Unverständnis darüber, eine solche Frage bei einem US-Car-Stammtisch überhaupt zu formulieren, konnte ich deutlich in den Augen aller am Tisch lesen. Die Antworten waren einfach und kamen wie aus der Pistole geschossen: »Die Weite des Landes, die abwechslungsreiche Natur, die Tierwelt, der klare Himmel in der Einsamkeit, die Freundlichkeit der Menschen, die unendlichen Straßen und nicht zuletzt die amerikanischen Fahrzeuge«. Wahrscheinlich würden 90 % aller Befragten ganz ähnliche Antworten auf diese Frage geben. All das gibt es aber nun mal auch in Europa, Asien oder auf jedem x-beliebigen anderen Kontinent. Warum also gerade die USA? Selbst Menschen, die dem politischen und gesellschaftlichen System der USA gegenüber sehr kritisch eingestellt sind, lassen sich von der Faszination dieses Landes und seiner Menschen in den Bann ziehen. Da muss es also noch irgendetwas geben, dass dieses Land von all den anderen unterscheidet. Wie die meisten Grundlagen unseres Denkens und Handelns, liegen die wahren Gründe wahrscheinlich in unserer Kindheit verborgen.
Die Helden unserer Kindheit
Unsere Vorbilder waren die hartgesottenen Kerle aus Bonanza, 12 Uhr mittags oder Filmen wie Bis zum letzten Mann mit John Wayne, Henry Fonda und Shirley Temple aus einer selbst damals schon längst vergangenen Ära. Was wir sahen, setzen wir in die Tat um. Die Rollen waren klar verteilt. Zur Not wurde ausgelost, wer die Guten und wer die Bösen, wer Kavalleriehauptmann oder Häuptling, wer Sheriff oder Bandit sein durfte. Wir rannten, laut »Peng Peng« rufend, durch das Dorf, schossen in einer Sandkuhle mit selbstgeschnitzten Gewehren oder Flitzebogen auf unsere Kumpels, und ließen uns – getroffen von imaginären Kugeln und Pfeilen –, metertief in den Pulversand fallen. Sicherer vor Blessuren war man innerhalb der eigenen vier Wände. Mein Kinderzimmer im neuen Elternhaus, das war 1976, musste unbedingt einen beigefarbenen Teppich bekommen. Die Farbe bildete die Grundlage der endlosen Prärien des Westens für meine Cowboytrecks, Yankee-Forts und Indianerdörfer, die gut und gern drei Viertel meines mit 25 qm großzügig bemessenen Zimmers einnahmen. Des Lesens endlich mächtig, begeisterten uns die Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn, geschrieben von Mark Twain. Dem Ruf der Wildnis von Jack London folgend, jagten wir mit dem Schlittenhund Buck den zugefrorenen Yukon River im hohen Norden Alaska entlang und mit Chingachgook streiften wir als der letzte Mohikaner aus dem historischen Roman von James Fenimore Cooper durch die Laubwälder der Ostküste. Gut, dass all diese Klassiker verfilmt wurden. Sonst wären sie an Markus, der nach eigener Aussage in seinem Leben keine fünf Bücher gelesen hat, wohl vorbei gegangen.
Traumfabrik Hollywood
Kein anderes Land ist prädestinierter als die USA, eine Traumfabrik zu erschaffen, wie Hollywood eine ist. Die meisten Filme haben ebenso wenig mit der Realität zu tun wie die Vorstellungen derer, die sich vor mehr als 200 Jahren aufgemacht haben, um im Gelobten Land Freiheit, Glück und Wohlstand zu erlangen. Die Traumfabrik sorgt bis heute dafür, das die Sehnsucht nach diesen Idealen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten nicht abreißt. Wenngleich die Realität für viele Einwanderer ganz anders aussah. Manche wurden ähnlich in die Irre geführt wie ich selbst in meiner Pubertät, als ich mir wünschte, von blonden Schönheiten in orangefarbenen Badeanzügen aus den Fluten des Pazifik gerettet zu werden, mit Starsky & Hutch in einem Musclecar in Los Angeles, mit einem Lolly im Mund in Manhattan oder in den Straßen von San Francisco für Ordnung und Gerechtigkeit sorgen zu können. All diesen Vorbildern meiner Kindheit und Jugend war gemeinsam, dass sie ganz einfache Menschen aus bürgerlichen Ver-hältnissen waren und nicht wie Ritter Lancelot oder die Drei Musketiere von edlem Blute. Meine Vorbilder waren die Nachkommen von Einwanderern, die auf der Flucht vor Lehnsherrschaft und Armut den Mut besaßen, ihre Heimat zu verlassen und auf den Auswandererschiffen in das Gelobte Land zu reisen. Nur die wenigsten waren mit einem goldenen Löffel im Mund oder einem Adelstitel auf die Welt gekommen und durch »Gottes Gnade« in Reichtum und Wohlstand geboren worden. Ich glaube, dass einer der Gründe pro Amerika für die meisten Menschen der fest verankerte Glaube ist: Hier kann es jeder schaffen – the American Dream.
Die Suche nach der eigenen Identität
Mit 16, als das Interesse der meisten anderen Jungs bereits oder fast ausschließlich dem weiblichen Geschlecht galt, überzeugte ich meine Eltern mit dem penetranten Gequengel eines Pubertierenden, dem das gesellschaftliche Korsett der Kleinstadt zu eng geworden war, davon, an einem Schüleraustausch in die USA teilnehmen zu dür-fen. Ich wurde nicht enttäuscht. Hatten andere das Pech, bei Arztfamilien in großen Bungalows mit Swimmingpool unterzukommen, landete ich in einem kleinen Nest an der Grenze zwischen Maryland und West Virginia namens Redhouse. Der Ort bestand aus einem Haus, einem Saloon und einer Kirche. Eigentlich alles, was man in der Wildnis so braucht: ein Dach über dem Kopf, eine Whiskytränke und einen Ort, um Buße zu tun. Der erste Tag war für mich der Kulturschock meines Lebens. Darauf hatten mich weder Karl May noch Steven Spielberg vorbereitet. Ich erwachte bei -3 °C in einem Zimmer ohne Heizung, und am Fußende meines Bettes saß ein weißer Kater, dem die Vorderbeine fehlten. Niemand war im Haus, und rundum das Haus war ebenfalls niemand. Das Grundstück hatte den Charme eines Autofriedhofs. Wo man hinschaute: rostende Autowracks. Ein Jeep Wrangler stand genau da, wo der Jüngste der Familie ihn im zarten Alter von acht Jahren gegen einen Baum gesetzt hatte. Der Schlüssel steckte noch. Nachdem ich den anfänglichen Kulturschock und meinen Jetlag überwunden hatte, begann der Spaß. Während »die Anderen« jeden Tag die Annehmlichkeiten der amerikanischen Oberschicht genießen mussten, bin ich selten in meinem Leben je wieder herzlicher und freundlicher von Menschen aufgenommen worden wie von Phyllis, Ralph, Marie und Jimmy Stemple. Und das, obwohl sie nahezu jedes Klischee einer amerikanischen Familie erfüllten. Der Vater war ein raubeiniger Trucker, die Mutter eine Geschichtslehrerin, die die Berliner Mauer zwischen Ost und West für reine Propaganda hielt, die Tochter, Mary, doppelt so schwer, wie es das amerikanische Schönheitsideal zuließ, und Jimmy hatte mehr Blödsinn im Kopf als die Schulbehörden Druckmittel, um seinen Streichen Einhalt zu gebieten. Viele der Dinge, die ich in dieser Zeit erlebt habe, erfüllten allerdings auch die Klischees des Landes von Freiheit und Abenteuer. Ins Einkaufszentrum fuhren wir auf der Ladefläche eines Pickups, wir wanderten durch Klapperschlangen verseuchte Grotten, schossen mit großkalibrigen Waffen im Garten auf Bierdosen und jagten auf einem Mustang namens Midnight durch die Wälder, bis der Sattelgurt riss. Das meiste, das uns Spaß machte, wäre in Deutschland verboten oder anstößig gewesen. Hier störte sich niemand daran.
Der Weg ist das Ziel
Ob bewusst oder unbewusst: Markus hat sich als Titel für das Buch für Crossing a Continent entschieden und will damit zum Ausdruck bringen, dass auf seiner Reise der Gedanke, einen ganzen Kontinent zu durchqueren, den Charme einer Reise von mehr als 11 000 km ausmacht. Auf der einen Seite das verheißungsvolle Gefühl, so schnell man möchte, dem Ziel entgegenzustreben und auf der anderen Seite die Option, überall dort einen Stopp einzulegen, wo es einem gefällt, und doch jederzeit wieder Fahrt aufnehmen zu können. Wählt man seine Strecke mit Bedacht, bremst nicht bereits nach wenigen Kilometern eine Kurve oder ein Ortsschild die Fahrt. Dafür sorgen hier nur Wapitihirsche auf und Bären neben der Straße, der Tornado vor und die Polizei hinter einem. Wenn der schwarze Teer in der Hitze flimmert und am Ende dort, wo er zu einer hauchdünnen Linie am Horizont zusammenläuft, einer Fata Morgana gleich, ein Geheimnis zu verbergen scheint, das nur lüften kann, wer es durchbricht und auf die andere Seite gelangt, dann ist der Weg das Ziel.
Gegensätze schaffen Vielfalt
Nachdem ich die Bildauswahl für das Buch von Markus bekam, stellte ich fest, dass jedes für sich so individuell war, dass es sich weder in ein geografisches, chronologisches noch thematisches Schema pressen ließ. Diese Einzigartigkeit einzelner Elemente der Natur deckt sich nicht mit den Erfahrungen, die ich als Austauschschüler gemacht hatte. Nämlich der Tatsache, dass in den USA Konformität viel wichtiger ist als Individualismus, das Blöken mit der Herde elementarer als das Recht auf eine eigene Meinung. Inzwischen habe ich gelernt, dass das nirgendwo auf der Welt anders ist, nur mit einem Unterschied: Wer sich in – und ich sage ganz bewusst: in Amerika – dafür entscheidet, aus der Herde auszuscheren, findet hier die Bewegungsfreiheit dafür. Das Land ist weit. So unterschiedlich Demokraten und Republikaner, Wanderarbeiter und Softwareentwickler, Cowboys und Indianer denken, fühlen und leben, so verschiedenartig sind das Death Valley in Kalifornien und die Prärien des Mittleren Westens, die Sümpfe Floridas und die Gletscher Alaskas oder der Großstadtdschungel in New York und San Francisco. Es sind die Gegensätze, die die kulturelle Vielfalt dieser Nation ausmachen und die Nation durch den unendlich scheinenden Strang ihrer Highways miteinander verbindet. Es sind die Kontraste, der Facettenreichtum, die Schönheit und Besonderheit der Landschaften und Städte, die den Blick links und rechts dieses »roten Fadens« schärfen.
von: Carsten Dohme (Link zur Facebookseite von Carsten Dohme)